Tuesday, July 04, 2017

Die Bibliothek vor ... Jahren. Kolumne 1/2017: Privatbibliotheken

Begleiten Sie mich auf eine kleine Reise: Wir schreiben das Jahr 1660, wir befinden uns im obersteirischen Seckau. Die Stadt hat gerade das Marktrecht erhalten; das Kloster stellt das geistige und religiöse Zentrum des gesamten Herzogtums dar. Gehen wir ein paar Schritte zum Haus des Hofbindermeisters Blasius Peer. "Der Fassbinder", so erinnert heute eine Tafel, "verfügte damals schon über einen beachtlichen Bücherschatz von 16 Exemplaren". Welche Bücher Blasius sein Eigen nannte, verrät uns die Tafel an seinem Haus leider nicht. Eine Bibel und ein Almanach oder Kalender werden wohl darunter gewesen sein.

Begeben wir uns jetzt auf eine zweite Reise: vom Handwerker des 17. Jahrhunderts zum Herrscher des 18./19. Jahrhunderts, vom steirischen Dorf in die Reichshaupt- und Residenzstadt Wien. Franz II. (I.). begründete bereits im Alter von siebzehn Jahren eine Bibliothek "bloß zum Privatgebrauche", die später als Fideikommissbibliothek ein Teil der Nationalbibliothek wurde. Die Privatbibliothek "enthält 40,000 Bände der kostbarsten Werke aus allen Fächern und Wissenschaften, auch mehre seltne Manuscripte, Incunabeln und andere bibliographische Seltenheiten", schreibt Karl August Schimmer im Jahre 1837.

Die letzte Etappe führt uns vom Kaiser des 18./19. zum Universitätsprofessor des 21. Jahrhunderts, von Wien nach Mailand. "Ich besitze fünfzigtausend Bücher. Wenn jemand eines aus dem Regal nimmt und es an anderer Stelle zurückstellt, geht es mir auf immer verloren", sagte Umberto Eco im Jahr 2010 in einem Gespräch mit Felicitas von Lovenberg für die FAZ. In einem Video mit mittlerweile über einer Million Zugriffen kann man sich staunend einen Einblick von der Zeit machen, die Eco benötigte, um seine Privatbibliothek zu durchschreiten – vom Lesen noch gar keine Rede.

Angesichts einer solchen Sammlung stellt sich auch die Frage, wie man mit einer häufigen, aber ungeliebten Frage ungläubiger BesucherInnen umgeht: Ob man die denn alle gelesen hätte? Eco empfiehlt als Erwiderung: "'Nein, das sind die, die ich bis nächsten Monat lesen muß, die anderen hab ich in der Uni'. Eine Antwort, die einerseits eine sublime ergonomische Strategie suggeriert und andererseits den Besucher veranlaßt, den Moment des Abschieds vorzuverlegen".

Einen Tipp für die inhaltliche Ausrichtung der eigenen Privatbibliothek – ob klein oder groß – gab Karl Preusker im Jahre 1840: "Sey sie von noch so beschränkter Bändezahl, so möge sie, neben der zu begünstigenden Geistesklarheit und Kenntnißvermehrung, wie der ebenso unerläßlichen Rücksicht auf Haus und Familie, Gemeinde und Staat, auch durch ansprechende Dichtungen zur Erheiterung und angeregten edlen Frohsinnigkeit mitwirken".

Kennzeichnung der Bücher aus der Privatbibliothek von Hiram A. Wilson (* 1812), Penn Libraries call number: AC8 G5415 846t. Flickr, C0 Public Domain.

Literatur
Umberto Eco: Wie man eine Privatbibliothek rechtfertigt. In: Sämtliche Glossen und Parodien. München / Wien: Hanser 2002, S. 336-338 (auch in: Wie man mit einem Lachs verreist und andere nützliche Ratschläge. München: dtv 1995
Felicitas von Lovenberg: Sind Sie der ideale Leser, Signor Eco? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Dezember 2010
Karl Preusker: Über öffentliche, Vereins- und Privat-Bibliotheken so wie andere Sammlungen, Lesezirkel und verwandte Gegenstände. Leipzig: Hinrichs 1839/40
Karl August Schimmer: Neuestes Gemälde von Wien in topographischer, statistischer, commerzieller, industriöser und artificieller Beziehung. Wien: Sollinger 1837, S. 100


Die bisher erschienenen Kolumnen in dieser Reihe: 4/2016 (Bildschirmtext), 3/2016 (Verhaltensvorschriften), 2/2016 (Beleuchtung), 1/2016 (Frauen in Bibliotheken). Zum Nachlesen im Original-Layout siehe Büchereiperspektiven.

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